Wachstumsraten oder die »Prozente vom Prozent«

Social Blogging Wie Social Media Teams strukturiert sind.
Es gibt drei Arten von Lügen: Lügen, verdammte Lügen und Statistiken.
Leonard Courtney, 1st Baron Courtney of Penwith (1832-1918)

Was den ehrenwerten Baron zu diesem — oft auch Benjamin Disraeli oder Mark Twain zugeschrieben — vernichtenden Urteil über die Aussagekraft von Statistiken veranlasst hat, ist nicht überliefert. Ich teile diese Meinung auch nicht und halte es eher mit Franklin D. Roosevelt: »Ich stehe Statistiken etwas skeptisch ge­gen­über. Denn laut Statistik haben ein Millionär und ein armer Kerl jeder eine halbe Million.«

Konkreter Anstoß für diesen Beitrag war ein Artikel, auf den ich bei einer Recherche stieß und in dem Social Media Today über die Zielvorgaben einer Social Media-Kampagne und deren Ergebnisse berichtet.

«Die messbaren Ziele wurden übertroffen.»

In dem Beitrag wird über eine Social Media Kampagne der Securian Financial Group berichtet, deren Ziele so formuliert waren:

  1. Steigerung der Facebook “Likes” um 25 Prozent
  2. Erhöhung der Twitter Followers um 15 Prozent
  3. Markenbildung für Securian
  4. Den Leitsatz «Securian hilft den Menschen ihre langfristigen finanziellen Ziele zu erreichen» bekannter machen.

Ein externer Dienstleister produzierte eine Serie von 4 Interviews, die auf dem Youtube-Kanal von Securian veröffentlicht wurden und über die Facebook-Seite und den Twitter-Account promotet wurden. Als Ergebnis wird abschließend gemeldet: »Die messbaren Ziele wurden übertroffen.«

Und wirklich: Die tatsächlichen Ergebnisse lagen bei 27% und 19% und somit sogar über den Zielvorgaben. Hört sich doch erst einmal gut an. Weniger gut liest sich das, wenn es um absolute Zahlen geht: Die Anzahl der Facebook-Likes für die Unternehmens-Seite stieg von 451 auf 571 (27%) und die Anzahl der Follower des Twitter-Accounts von etwa 160 auf 191 (19%).

Zudem reizt auch die Formulierung »messbare Ziele« zur Nachfrage. Securian weiß offenbar nichts über Motive oder Demografie der neuen Fans/Follower. Wer sind sie, warum folgen sie gerade jetzt und sind sie wirklich als Resultat der Kampagne zu verbuchen? Wie wäre die Entwicklung ohne die Kampagne gewesen?

Securian ist ein milliardenschweres Unternehmen, da fallen die paar tausend Dollar, die die Kampagne gekostet haben wird, unterm Strich nicht sehr ins Gewicht. Ob sie aber für 31 Follower auf Twitter und 120 Facebook-Likes gut angelegt sind, ist dann doch zweifelhaft. Noch zweifelhafter ist aber der Versuch, ein eher mäßiges Ergebnis der Social-Media-Kampagne durch das Herausstellen von Prozent-Angaben als großen Erfolg zu verkaufen. Für mich ist es aber Anlass genug, auf einige andere Statistik-Schummeleien aufmerksam zu machen.

7 beliebte Methoden, Sie auf den Leim zu führen.

  1. Glaubwürdigkeit erreicht man am besten durch Präzision.
    Ein bekannter Anwender dieser Methode ist der Grieche Herodot. Im Perserkrieg hätten dem griechischen Heer genau 5.283.220 Mann gegenübergestanden, berichtet er. Man könnte meinen, er habe persönlich nachgezählt. Hätte er das wirklich getan, wäre er auf rund 15.000 Krieger gekommen. Aber die auf einen Zehner genaue Zahlenangabe hat schon was.


    Solche scheinbar präzisen Angaben begegnen uns häufig. Sobald wir genaue genaue Zahlen und Prozentangaben hören, assoziieren wir das Ganze mit wissenschaftlich fundierten Fakten und tappen in die Präzisionsfalle. Ein Beispiel finden Sie hier, wo Online-Zeiten bis auf die zweite Kommastelle genau angegeben sind. Abgesehen davon, dass Tortengrafik nur dann sinnvoll ist, wenn Teilwerte eines Ganzen dargestellt werden. Was ist dann in diesem Beispiel das Ganze? Der Tag, 24 Stunden oder das, was sich der geneigte Betrachter durch Addition der Einzelwerte selbst berechnet?

  2. Vergleiche gehen nicht von der gleichen Basis aus.
    Ein Beispiel wie man mit unterschiedlichen Basisgrößen falsche Ergebnisse produziert zeigt das BILDblog: Bild ‘untersucht’ den Zuckergehalt verschiedener Produkte. Eine Melonenscheibe enthält angeblich 133 Stück Zucker, das Glas Bio-Konfitüre haut mit 61 Zuckerwürfeln rein, das Glas Nutella nur mit 3 Würfeln. Wie das? Na ja, die Angaben für die Melone beziehen sich auf eine ganze Melone von 5 kg, die Angaben für die Konfitüre auf ein Glas mit 350 Gramm und für Nutella wurde als Basisgröße ein einziger Esslöffel benutzt.

  3. Man muss auch die versteckten Variablen suchen..
    Oft werden Zusammenhänge konstruiert, die es gar nicht gibt. Zum Beispiel zeigt sich, dass bei Bränden die Schadenssumme um so höher ist, je mehr Feuerwehrleute an der Brandbekämpfung beteiligt sind. Das liegt allerdings nicht daran, dass Horden löschwütiger Feuerwehrleute das brennende Haus mit Löschwasser fluten, Türen zertrümmern oder Wände einreißen. Der Grund ist die Hintergrundvariable Größe des Brandes, die Ursache für beides ist.

    Bei N-TV fand ich folgendes fiktive Beispiel: Topmodels sind bei ihrer ersten Scheidung im Durchschnitt zarte 28 Jahre alt. Lässt sich hingegen eine Putzfrau scheiden, so tut sie es laut Statistik erst mit 44. Sind Putzfrauen also geduldiger? Vielleicht, aber der entscheidende Faktor ist hier das Durchschnittsalter. Top-Models hängen ihren Beruf für gewöhnlich mit Mitte 30 an den Nagel, Putzfrauen fangen in dem Alter manchmal erst an. Wenn sich eine Putzfrau schon mit Anfang 20 scheiden lässt, wird das durch die Scheidung der 60-jährigen Kollegin statistisch ausgeglichen – bei Models geht das nicht so einfach.

  4. Das arithmetische Mittel ist oft wenig aussagekräftig.

    Ein fiktives Beispiel: In einem Dorf in der Eifel lebten früher 500 Familien, jede mit 2000 Euro Erspartem. Heute 501 Familien. Die Besonderheit: Die neue Familie hat aufgrund eines riesigen Aktienpaketes ein Geldvermögen von 200 Millionen Euro. Durch diesen Extremwert steigt das durch­schnitt­liche Vermögen des Dorfes auf 400.000 Euro pro Familie.

    Auch nicht so extreme Beispiele für die Verzerrung von Mittelwerten findet man oft. Ich hatte kürzlich über eine Studie des Think:Lab über die Nutzung von Social Media in Deutschland berichtet. Die Studie wartet mit einigen über­raschenden Zahlen auf, danach ist im Durchschnitt jeder Deutsche bei drei sozialen Netzwerken registriert. Schnell ist daraus die Headline «Jeder Deutsche bei drei sozialen Netzwerken aktiv» gemacht. Näher betrachtet sieht man jedoch, dass mehr als die Hälfte der Befragten bei weniger als drei Netzwerken angemeldet sind oder wie die Häufigkeitsverteilung zeigt, der weitaus überwiegende Teil der Nutzer (70%) 4 oder weniger Accounts angemeldet hat.

  5. «Leicht» manipulierte Stichproben.
    Oft ist das Ergebnis bereits durch die Stichprobe vorgegeben. Klassiker sind Umfragen zum Rauchverbot in Raucherkneipen oder Umfragen zu Windows 7.0 bei Apple-Nutzern. Von diesen Ergebnissen auf die Allgemeinheit zu schließen, ist schlicht Unsinn. Ein ebenso wenig brauchbares Ergebnis erhält man, wenn eine Befragung zum Einkommen auf einem Flughafen durchgeführt wird oder die Nutzung von Smartphones an einer Hochschule abfragt.

  6. Getrickste Grafiken.
    Weitaus spannender wäre es natürlich, die beiden Grafiken nacheinander mit den entsprechenden Erläuterungen einzublenden. Aber für eine Demonstration, wie mit Grafiken getrickst werden kann, reicht auch die parallele Darstellung. Links sehen Sie eine Grafik aus dem Geschäftsbericht für 2004 der “psd-Bank Rhein-Ruhr”, nach der es mit der Bilanzsumme rapide aufwärts gegangen sein muss. Vier Säulen, jede größer als die links daneben stehende, signalisieren die positive Entwicklung der Bank.

    2013 Digital Influence Report

    Das geschummelt wurde, sieht man erst auf den zweiten Blick und besonders deutlich, wenn man eine korrekte Darstellung der Bilanzsummen daneben stellt (rechte Grafik). Wachstum ja, aber lange nicht so erfreulich, wie die Bank es wohl gerne hätte. Wie wurde geschummelt? Horizontale Linien in gleichem Abstand gaukeln eine lineare Skala vor, die Höhe der Säulen wären den Bilanzsummen proportional, also würde eine doppelte Höhe auch eine Verdopplung der Summe repräsentieren. Aber weit gefehlt: Die Linien unter der 2.000 haben jeweils einen Abstand von 500 Einheiten, aber darüber geht es nur im Hunderter-Abstand weiter.
    Quelle: Die schlechtesten Grafiken der Welt/WDR

    Ein anderer beliebter Trick ist das Abschneiden einer Achse. Die Grafik links ist dem Grafik-Pool von Statista entnommen und bildet die Anzahl der Unique Visitors von twitter.com in Deutschland von Mai 2011 bis Mai 2012 ab. Der nur von wenigen Einbrüchen unterbrochene steile Anstieg erfreut jeden Social Media-Verantwortlichen, der auf Twitter setzt.

    2013 Digital Influence Report

    Nur ist das Wachstum in Wahrheit weit weniger imposant, wie die realistische Darstellung in der rechten Grafik zeigt. Der Trick: Die Achse mit den Nutzerzahlen ist in der linken Grafik gestreckt, da der Wertebereich erst bei 3 Mio. und nicht bei 0 beginnt. Zur Ehrenrettung von Statista sei vermerkt, dass die Darstellung dort geändert werden kann. Wenn man sich auskennt.

  7. Schummeln mit Prozentangaben.
    Je nachdem, ob eine Änderung groß oder geringfügig erscheinen soll, wird sie entweder in Prozentpunkten oder in Prozent vom Ausgangssatz angegeben.

    Das Social Network MiniNet hatte 2011 100.000 Nutzer. Ein Jahr später sind es 101.000 Nutzer und in 2013 102.500. Die Anzahl der Nutzer wächst also um 1 beziehungsweise 1,5 Prozent. Wenig überzeugend, oder? Wie gut, dass man die Sache auch anders sehen kann. Und zwar, indem man sich auf die Steigerung der Wachstumsrate konzentriert, also in Prozenten vom Prozent angibt.

    Das Wachstum der Nutzerzahlen um 1000 in 2011 ist die Ausgangsbasis. Im nächsten Jahr sind die Nutzerzahlen um 1500 gestiegen, also um 50 Prozent mehr. Macht ein Nutzerwachstum von 50 Prozent – und das klingt doch gleich viel besser!

    Beliebt sind solche Angabe in Veröffentlichungen, die mit Headlines wie «Twitter ist am schnellsten wachsende soziale Plattform der Welt» wie z. B. hier.

 

Schließen will ich mit einer Aussage der Grande Dame der Meinungsforschung Elisabeth Noelle-Neumann:

Statistik ist für mich das Informationsmittel der Mündigen. Wer mit ihr umgehen kann, kann weniger leicht manipuliert werden. Der Satz ›Mit Statistik kann man alles beweisen‹ gilt nur für die Bequemen, die keine Lust haben, genau hinzusehen.

Zwei nette Beispiele, wie man mit korrekten Zahlen dennoch falsche Eindrücke suggeriert, zeigt Prof. Gerd Bosbach bei »Pelzig hält sich«:

 

Schöner schummeln mit Statistik: Wachstumsraten oder die »Prozente vom Prozent« 

 

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Links zum Thema:
Zeit Online: Sehr beliebte Zahlentricks
Die Welt: Wie Politiker gezielt mit Statistiken manipulieren
Zeit Online: Trügerische Zahlen
News.de: Wie mit Zahlen gelogen wird

 

Bild Teaser: Wikimedia Commons,

4 Kommentare

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  2. Pingback: M wie Marketing

  3. Wenn der Auftraggeber 25% und 15% in Auftrag gibt und es werden wie nachgewiesen 27% und 19% erreicht, dann ist das der messbare Wert der Aufgabenstellung. Markenbildung und “Bekanntmachung/Weiterverbreitung des Slogans” sind die nicht messbaren Werte (kann man zwar auch messen, ist aber bedeutend aufwändiger und kostenintensiver als prozentuale Steigerungen zu berechnen).
    Ein Auftraggeber der so schwache Ziele formuliert ist doch eher das Problem, als der Auftragnehmer der die Aufgabe zahlengetreu ausführt. Ein guter Berater hätte natürlich andere Ziele formuliert.
    Eines ist hier deutlich, klar Statistiken sind eben Durchschnittswerte, wenn ich mit einem Fuß auf der Herdplatte stehe und mit dem anderen im Kühlschrank – gibt es auch eine angenehme Temperatur im Durchschnitt. Die Statistik und ihre Ergebnisse hängen ganz entscheidend von der Formulierung der Ziele ab und dafür sollte sich der Auftraggeber mehr Zeit nehmen als sich nachher mit fragwürdigen Ergebnissen rum zu schlagen.
    Und ich hoffe der Satz Zitat: ” da fallen die paar tausend Dollar….unterm Strich nicht ins Gewicht”, wenn für diese Zielformulierung mehr als wenige hundert Dollar bezahlt wurde, dann “au weia”.

    • Herbert Peck

      Für mich war das Wesentliche nicht ‘Schwache Zielvorgaben’ oder ähnliches, sondern die weit verbreitete Tendenz, Statistiken durch eine geschickte Auswahl aufzuhübschen und so ‘Erfolge’ zu verkaufen, wo bei genauem Hinsehen doch mäßige Ergebnisse erzielt wurden. Der Artikel hebt eher auf ‘Schöner Schummeln mit Statistik’ ab.

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