Reichweite, Potenzial und Einfluss in sozialen Medien

Social Blogging Wie Social Media Teams strukturiert sind.

Unternehmen twittern, posten auf Google+ und Facebook. Einige Bloggen, andere nutzen Pinterest als Plattform für visuelle Botschaften oder füllen ihren YouTube-Kanal mit Videos. Über allem stehen die Fragen: Wo und wie oft taucht meine Marke in den Social Media auf und welchen Einfluss hat es auf mein Geschäft? Welche Faktoren bestimmen die Unternehmens-Performance im sozialen Netz?

Spricht man über Einfluss, Potenzial oder auch die Reichweite in sozialen Medien, muss man über den sozialen Graphen des Einzelnen oder der Marke sprechen. Der Social Graph hat nun nichts mit der gleichnamigen Programmierschnittstelle Facebooks zu tun, sondern beschreibt die sozialen Beziehungen des Einzelnen oder auch der Marke im Beziehungsgeflecht des Internet.

Wir nähern uns damit langsam den Gesetzen der sozialen Physik: »Jede Aktion ruft eine Reaktion hervor — selbst wenn diese Reaktion Schweigen ist«, schreibt Brian Solis.

Natürlich möchte jeder, der die sozialen Medien zur Kommunikation nutzt — sei es privat oder als Unternehmen — und Schweigen erntet, wissen, ob es ein »Beredtes Schweigen« ist oder keine andere Reaktion erfolgt, weil er niemanden erreicht. Er stellt sch also die Frage nach seiner Reichweite.

Was ist Reichweite? Ist das eine sinnvolle Größe?

»Wen interessiert schon Reichweite?« titelt der LinkedInsider einen älteren Artikel. Markus Neubert von TotterturmPR geht noch weiter und meint: »Die Reichweite gibt es nicht«, wobei nie ganz klar wird, ob die Betonung auf »Die« oder auf »Reichweite« liegt. So oder so, beides ist richtig.

Zunächst ist Reichweite keine wirkliche, sondern nur eine nur theoretische Größe, die in verschiedenen Zusam­men­hängen auch noch unterschiedlich interpretiert werden muss:

  • In sozialen Netzwerken wie Twitter könnten es die Follower selbst und das Netzwerk der Follower sein.
  • Bei Websites oder Blogs können das direkte Abonnenten sein oder Besucher die über eine Suchmaschine auf die Seite kommen.
  • Bei Print, TV oder Plakatwerbung sind es Leser, Zuschauer oder eben Passanten.

Nähern können wir uns dieser Größe über Twitter. Hier steht mit Tweetreach ein Tool zur Verfügung, das die Frage »How far did your tweet travel? « beantworten soll. Hier ein Beispiel:


Die von TweetReach berechnete Reichweite ist also nicht mit der Anzahl der Follower identisch, die Zahlen — erreichte Accounts und Impressions — sehen zunächst sehr eindrucksvoll. Was ist die Grundlage für diese Berechnung?

  • »accounts reached« ist Anzahl der Accounts der Twitterati, die im betrachteten Zeitraum (in der Regel die letzten 2 Tage) einen Tweet weitergeleitet oder den eigenen Account erwähnt haben plus Anzahl der eigenen Follower. Ein Beispiel: Dem eigenen Account folgen einhundert andere Accounts mit je 50 Followern, so berechnet sich »accounts reached« zu 100 + 100 x 50 = 5100.
  • »impressions« beschreibt die Summe einzelner »accounts reached« multipliziert der Retweets bzw. Erwähnungen dieses Accounts. Ein Beispiel: Hat ein Mitglied der eigenen Community 3000 eigene Follwer und drei mal retweetet, so entspricht das 9000 »impressions«

Das Problem mit Reichweite

+Danny Brown beschreibt die Reichweite so: »Die Reichweite ist keine wirklich tragfähige Metrik, es ist zunächst nur die Hoffnung, dass ein Inhalt gesehen wird.«

Die von TweetReach ausgewiesenen Zahlen können schon beeindrucken, allerdings nur, wenn man sie nicht weiter hinterfragt. Wie die Berechnungsgrundlage zeigt, beschreiben diese Größen keine reale Reichweite oder Sichtbarkeit. Das würde voraussetzen, dass alle Twitter-Nutzer, die in diese Berechnungen einfließen auch jeden dieser Inhalte sehen. Von daher sind diese Größen nur theoretische Werte oder potenzielle Reichweiten bzw. die maximal möglichen Impressions, Potenzial ist also hier das entscheidendes Stichwort.

Und wie ist das mit dem Potenzial?

Aber auch die potenziellen Reichweiten bzw. Impressions malen ein geschöntes Bild, wie folgende Überlegungen zeigen.

Mit dem Fake Follower Check soll die Anzahl der Fake-Accounts und der inaktiven Accounts bestimmt werden können. Für den betrachteten Account wurden 1% Fake-Accounts und 4% inaktive Accounts ermittelt, demnach wären 95% der Accounts “echte” Follower. Unklar bleibt dabei, wie diese Werte ermittelt werden und wie »inaktiv« definiert ist. Ich habe da meine eigene Definition und für den Account die folgenden Werte ermittelt: Mehr als 400 Follower haben in den letzten drei Monaten keinen Tweet abgesetzt. Auch wenn ein Teil der Accounts mitliest, sind sie unter dem Gesichtspunkt »Potenzial« doch inaktiv. Im betrachteten Fall wäre das etwa jeder dritte Account. Das reduziert das Potenzial beträchtlich, aber es stellt sich noch eine Frage: Wie viele dieser “echten” Accounts sind online, wenn der betrachtete User einen Tweet absetzt?

Eigentlich geht es um Einfluss.

Bisher haben wir nur statische und schwer bis gar nicht exakt bestimmbare Größen betrachtet. Ich möchte einmal mehr die Physik bemühen, um zum Wirkungskern der sozialen Medien vorzustoßen. Aus der Physik ist der Begriff der potenziellen Energie bekannt, der einen statischen Zustand beschreibt: Die Ruheenergie oder Energie der Lage. Social Media soll aber etwas bewegen, das statische Potenzial muss in eine kinetische Größe, nämlich Einfluss umgesetzt werden.

Physics Measures Both Potential and Kinetic Energy. Similarly, Digital Influence must measure Both Social Capital (Potential) as well as Actual Influence (Kinetic)
Jeremiah Owyang, Altimeter Group

Nicht jeder, der in den sozialen Medien unterwegs ist, gewinnt auch an Einfluss. Man darf Einfluss nicht mit Popularität und Beliebtheit verwechseln, viele Follower auf Twitter oder Facebook zu haben, heißt nicht unbedingt, auch einflussreich zu sein. Was also ist Einfluss? Brian Solis formuliert es so: »Einfluss ist die Fähigkeit wünschenswerte und messbare Aktionen und Ergebnisse zu initiieren.«

Die Definition von Solis enthält einen entscheidenden Hinweis. Er spricht von »messbaren Aktionen und Ergebnisse« und weist damit auf die Crux aller Reichweiten- und Poten­zial­mes­sungen hin. Als statische Größen, die allein zu keiner Reaktion führen, sind sie kaum bestimmbar. Einfluss hingegen sollte als dynamische Größe eigentlich gut messbar sein.

Wie ist es mit der Messung des Einflusses?

Sicherlich ist es so, dass Unternehmen nach Zahlen verlangen, um den Erfolg ihres Social Media Engagements beurteilen zu können. Hier stellt sich dann natürlich die Frage, was ist der beste Weg, diese Zahlen zu erhalten.

Den Anspruch, den Online-Einfluss von Menschen und Unternehmen auf Twitter und sogar für das gesamte soziale Netzwerk zu beschreiben, erheben gleich mehrere Unternehmen, darunter Klout, PeerIndex und Kred. Jeder der drei genannten Dienste bewertet den Einfluss eines Nutzers durch einen Score. Über die Aussagekraft dieser Scores ist viel geschrieben worden. Eine sehr umfangreiche Beurteilung der verschiedenen Dienste finden Sie in dieser deutschen Fassung eines Marketing-Land-Artikels. danah boyd, Senior Researcher bei Microsoft Research hält offensichtlich wenig von den Metriken:

Social influence conforms to the Heisenberg uncertainty principle. The more precisely you try to measure one’s influence, the more you muck up the entire system of influence. Klout and PeerIndex and similar services function through game mechanics. People who buy into the game are willing to manipulate their social media practices to get high status in these systems. danah boyd, Influencer Marketing Quotes

Inhalte sind der gemeinsame Nenner aller Metriken

Dass die reine Anzahl der Abonnenten, Follower, Fans oder Circler die schlechteste aller Metriken zur Bestimmung der Reichweite oder des Einflusses sind, dürfte aus den Betrachtungen klar geworden sein. Alle anderen Größen — so begrenzt die Aussagekraft auch sein mag — haben zumindes einen gemeinsamen Nenner: Die Inhalte.

»accounts reached«, »impressions« oder auch die diversen »Scores« legen für ihre Berechnungen die Interaktion in den sozialen Netzwerken zu Grunde. Wer keine interessanten Inhalte hat, wird nicht retweetet, geliked oder geplusst. Am Ende entscheiden Fans und Follower, was sie lesen wollen oder nicht und was sie an ihre Fans oder Follower weiterverteilen.

Für Unternehmen, die Social Media als Teil ihrer Marketingstrategie sehen, stellt sich die Frage »Was ist Einfluss?« noch einmal anders: Für Unternehmen hat Einfluss eine strategische Bedeutung. Sie können 20.000 Twitter-Follower, einen Score nahe am Maximalwert, 275.000 Retweets oder 1 Million Aufrufe Ihrer YouTube-Videos registrieren: Wenn niemand ihr Produkt kauft ist ihr Einfluss dennoch gleich Null.

 

Was ist Ihre Meinung? Lässt sich Einfluss in Sozialen Netzwerken objektiv messen? Oder sind es eher »weiche« Kriterien, die im Kontext wie Qualität und Thema gesehen werden müssen? Oder sehen Sie ganz andere Kriterien? Wie immer freue ich mich über Ihre Anregungen und Kritik. Kommentieren Sie hier im Blog oder über Twitter, Facebook, Google+, LinkedIn, StumbleUpon oder Xing. Share-Buttons finden Sie oberhalb des Posts.

 

Weitergehende Links
ishp Consulting: Metrik und Social Media – Eine Säge baut kein Haus
MediaLine Klassische Definition von Reichweite
McKinsey: Wie können Unternehmen die sozialen Medien gewinnbringend nutzen?
Sean Carlos: Kann Social-Media Einfluss als Kennzahl ausgedrückt werden?
Danny Brown: Beyond Social Scoring – The Situational Factor of Influence

 

Bilder: ishp Consulting, depositphotos.com

1 Kommentare

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